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Startseite » Die kindliche Ess- und Trinkentwicklung im ersten Lebensjahr
Die Entwicklung der Ess- und Trinkfähigkeiten eines Säuglings im ersten Lebensjahr ist ein komplexer Prozess, der sowohl durch neurologische Reifung als auch durch motorische und sensorische Erfahrungen geprägt ist.
In der Logopädie spielen dabei insbesondere das Saugverhalten, die Schluckentwicklung sowie der Übergang zur oralen Nahrungsaufnahme (Beikost) eine zentrale Rolle.
Im Folgenden werden die einzelnen Entwicklungsschritte im ersten Lebensjahr dargestellt, wobei der Fokus auf den Saugmustern, den zugehörigen Reflexen und den motorischen Veränderungen liegt.
Bereits im Mutterleib beginnt die Entwicklung des Saugmusters. Dieses ist zunächst reflex-gesteuert und wird durch die sogenannten orofazialen* Reflexe ermöglicht, die für das Überleben des Neugeborenen von essenzieller Bedeutung sind.
Die im Folgenden genannten Reflexe entwickeln sich im Mutterleib, sind also bei einem reifen Neugeborenen vorhanden und bilden sich fast alle in den ersten Lebensmonaten wieder zurück.
Das Fehlen oder zu lange Fortbestehen von frühkindlichen Reflexen kann auf neurologische Störungen hinweisen.
Die Überprüfung der orofazialen Reflexe ist daher auch in der Logopädie ein wichtiges Mittel zur Beurteilung der Ess- und Trinkentwicklung des Kindes.
1.1 Saugreflex
Der Saugreflex ist einer der frühesten Reflexe und bereits ab der 32. Schwangerschaftswoche funktionstüchtig. Er wird durch Reize an den Lippen bzw. der Zungenspitze ausgelöst und sorgt dafür, dass das Baby die Lippen spitzt und zu saugen beginnt.
Dieses reflexartige Saugen ist wichtig für die Ernährung über die Brust oder die Flasche, da das Baby die Nahrungsaufnahme noch nicht bewusst steuern kann.
Der Saugreflex schwächt sich im Verlauf der ersten Lebensmonate ab, während das Saugen zunehmend durch bewusste Bewegungen ersetzt wird. In der Regel ist der Saugreflex nach dem vierten Lebensmonat nicht mehr auslösbar.
1.2 Schluckreflex
Ein weiterer, für die Nahrungsaufnahme des Babys wichtiger frühkindlicher Reflex ist der Schluckreflex, der bei Berührung der Schleimhaut am Zungengrund, der Gaumenbögen oder der Rachenhinterwand ein Schlucken ausgelöst. Er stellt in Kombination mit dem Saugreflex einen koordinierten Schluckablauf sicher und sorgt dafür, dass keine Nahrung in die Luftröhre gelangt. Der Schluckreflex bleibt lebenslang erhalten, während der Saugreflex durch ein aktives Saugen des Kindes ersetzt wird.
1.3 Suchreflex
Der Suchreflex ist ebenfalls entscheidend für die Nahrungsaufnahme. Er sorgt dafür, dass das Baby den Kopf in Richtung eines Reizes (z. B. Brust oder Flasche) dreht und den Mund öffnet, wenn die Wange berührt wird. Dieser Reflex unterstützt das Baby dabei, die Nahrungsquelle zu finden. Er zeigt an, dass das Baby hungrig ist und gefüttert werden möchte.
Wie der Saugreflex ist auch der Suchreflex gewöhnlich etwa bis zum vierten Lebensmonat vorhanden.
1.4 Beißreflex
Der Beißreflex tritt in den ersten Lebenswochen auf, wenn Druck auf die Kauleisten ausgeübt wird. Er führt zu einer Schließbewegung des Kiefers und dient dazu, den Kiefer des Säuglings beim Trinken zu stabilisieren.
1.5 Zungenstoßreflex
Der Zungenstoßreflex bewirkt, dass die Zunge nach vorne geschoben wird, wenn feste Nahrung in den Mund gelangt. Er verhindert, dass feste Nahrung zu früh in den hinteren Rachenraum gelangt und sich das Baby verschluckt. Auch dieser Reflex verliert sich langsam (bis etwa zum vierten Lebensmonat), sodass ab etwa dem fünften Lebensmonat die Einführung von Beikost möglich wird.
1.6 Würgreflex
Der Würgreflex schützt das Baby vor dem Verschlucken großer Nahrungsteile und ist besonders stark im vorderen Bereich des Gaumens ausgeprägt. Mit fortschreitender Entwicklung verlagert sich der Würgereflex weiter nach hinten bis zum hinteren Teil der Zunge und lässt das Baby zunehmend feste Nahrung tolerieren. Dieser Reflex besteht ein Leben lang.
2.1 Neugeborenenphase: Reflexgesteuertes Saugen
Wie gerade beschrieben, wird das Saugen in den ersten Lebenswochen stark durch Reflexe gesteuert.
Das Neugeborene zeigt ein einfaches Saugmuster, das durch rhythmische Zungen- und Kieferbewegungen charakterisiert ist. Die Zunge bewegt sich dabei vorwärts und rückwärts, während der Kiefer sich hebt und senkt. Dieses Muster ist auf das Auspressen der Milch aus der Brust oder dem Sauger ausgerichtet. Die Atmung erfolgt dabei durch die Nase, was dem Baby eine kontinuierliche Nahrungsaufnahme ermöglicht.
2.2 Übergang zu reifem Saugen (etwa ab dem dritten Lebensmonat)
Mit zunehmender neurologischer Reifung entwickelt das Baby ein reiferes Saugmuster.
Die Zungenbewegungen werden komplexer und koordinierter: Die Zunge bewegt sich nun auf- und abwärts, während der Kiefer stabilisiert wird. Das Kleinkind hat eine zunehmend bessere Kontrolle über das Schlucken. Die Saug- und Schluckkoordination wird effizienter, wodurch längere Saugpausen und eine kontinuierlichere Atmung möglich sind. In dieser Phase wird das Saugen zunehmend von bewussten Bewegungen geprägt.
2.3 Entwicklung der Schluckkoordination
Die Schluckentwicklung verläuft parallel zur Veränderung der Saugmuster. Bereits beim Neugeborenen ist der Schluckvorgang in drei Phasen unterteilt: die orale*, die pharyngeale* und die ösophageale Phase*.
Im ersten Lebenshalbjahr steht die Entwicklung der oralen Phase im Vordergrund, da das Baby durch die Brust oder Flasche ausschließlich flüssige Nahrung aufnimmt. Hierbei ist eine sichere Koordination von Saugen, Schlucken und Atmen notwendig, um ein Verschlucken zu verhindern.
Ab dem 6. Monat, mit der Einführung von Brei und fester Nahrung, verändert sich die orale Phase maßgeblich. Die Zunge muss die Nahrung nicht mehr nur nach hinten befördern, sondern sie muss auch zunehmend seitwärts gerichtete Bewegungen ausführen, um die Nahrung in den Seitenzahnbereich zu transportieren. Der Würgereflex wird weniger sensibel, was das Schlucken fester Nahrung erleichtert.
Der Übergang von flüssiger zu fester Nahrung stellt einen bedeutenden Schritt in der oralen motorischen Entwicklung dar. Ab etwa dem 6. Lebensmonat zeigt das Baby Interesse an fester Nahrung, und die Zungenbewegungen werden differenzierter. Es entsteht ein erster Ansatz für Kau- und Beißbewegungen, auch wenn die Zähne häufig noch nicht vollständig durchgebrochen sind. Das Kauen und Zerkleinern der Nahrung wird durch das Aufeinanderpressen der Kauleisten und die Bewegungen der Zunge unterstützt. Diese Entwicklung erfordert zunehmend die Fähigkeit, die Nahrung im Mund zu positionieren und gezielt in den Rachenraum zu transportieren.
Die genannten Reflexe und Saugmuster sind wichtige Indikatoren für die normale neurologische und motorische Entwicklung des Kindes. Abweichungen in diesen Bereichen können auf orofaziale Dysfunktionen*, neurologische Störungen oder anatomische Probleme (z.B. Lippen-Kiefer-Gaumenspalten) hinweisen.
In der logopädischen Diagnostik werden daher die Nahrungsaufnahme und die Schluckentwicklung genau beobachtet, um eventuelle Ess- und Trinkstörungen oder Fütterstörungen frühzeitig zu erkennen und zu behandeln.
Die Ess- und Trinkentwicklung im ersten Lebensjahr ist ein dynamischer Prozess, der durch eine schrittweise Reifung der orofazialen Muskulatur, der Koordination von Saugen, Schlucken und Atmen sowie durch die zunehmende Kontrolle über den Mundraum geprägt ist.
Reflexe wie der Saug-, Such- oder Zungenstoßreflex spielen in den ersten Monaten eine zentrale Rolle und weichen allmählich willkürlichen Bewegungen.
Die logopädische Diagnostik und Therapie fokussieren sich darauf, Abweichungen in diesen Entwicklungsschritten frühzeitig zu erkennen und gezielt zu behandeln, um die Nahrungsaufnahme zu verbessern.
*orofazial = den Mund und das Gesicht betreffend
*orale Phase = die Phase des Schluckablaufs, die im Mundraum stattfindet (bis zum Auslösen des Schluckreflexes)
*pharyngeale Phase = Transport der Nahrung durch den Rachen bis zum Speiseröhreneingang
*oesophageale Phase = die Nahrung wird über die Speiseröhre in den Magen transportiert
*orofaziale Dysfunktionen = motorische und/oder sensorische Auffälligkeiten der Muskelfunktionen im Mund-Gesichts-Bereich, die von der normalen Entwicklung abweichen
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